Eine gute und zwei schlechte Nachrichten 

Die gute Nachricht: Es gibt sehr brauchbare Ansätze, Komplexität zu erkennen und darauf bestmöglich zu reagieren. Agile Ansätze bewähren sich dafür sehr und erfreuen sich mittlerweile auch enormer Beliebtheit. 

Die erste schlechte Nachricht: Ein Großteil der Komplexität in Unternehmen ist hausgemacht, also innerhalb von Organisationen verursacht und nicht von außen induziert. Die empirische Untersuchung von Severin Bischof an der Universität St. Gallen zeigt das sehr eindrücklich: Die größten Komplexitätstreiber werden in den Unternehmen selbst erzeugt.  

Die zweite schlechte Nachricht: Wenn wir nun mit viel Engagement und meist auch mit einem beträchtlichen Ressourcenaufwand versuchen, Unternehmen zu ‚agilisieren‘, dann liegt der Verdacht nahe, dass wir vorwiegend damit die ohnehin hausgemachte Komplexität bewältigen wollen.  

Und das wirklich Tragische daran: Diese hoffnungsvollen Agilen Transformationen scheitern gerade an dieser selbstkreierten internen Komplexität. Das zeigt sich auch in meiner Beratungspraxis. Oft werde ich gerufen, wenn der ‚Agile Notfall‘ bereits eingetreten ist und der gut gemeinte agile Weg in einer Falle zu enden droht. Das muss nicht sein, es geht im wahrsten Sinne des Wortes auch einfacher. 

Das Management als Fallensteller 

Fangen wir am besten mit dem Big Picture an. Die bereits erwähnte St. Gallener Studie um Severin Bischof hat insgesamt acht Komplexitätsdimensionen und ihre jeweiligen Treiber identifiziert. 
 

Quelle: Severin Friedrich Bischof und Thomas Rudolph in Absatzwirtschaft 3 2019, S.52

Die am stärksten auf die Komplexität in Unternehmen
wirkenden Treiber sind:

  • Das Prognoseverhalten samt Budgetierungsprozesse 

  • Unklare Organisationsstruktur 

  • Hohe Aufgabendiversität 

Alle drei sind von den Entscheidern in Unternehmen eindeutig und direkt beeinflussbar. Etwas provokanter ausgedrückt: Das Management selbst stellt diese Komplexitätsfallen auf. Meist ist den Führungskräften das gar nicht bewusst. Sie greifen auf bewährte Ansätze zurück, die oft auch von namhaften Beratern empfohlen werden. Doch viele dieser Methoden entstanden unter der Annahme eines stabilen Umfelds. Genau das ist aber eben heute nicht mehr in dem Ausmaß gegeben.

Höchste Zeit also, einiges in Ihrem Unternehmen genauer unter die Lupe zu nehmen und kritisch zu betrachten!

Die folgenden Tipps helfen Ihnen dabei:

Tipp #1: Beenden Sie den Forecast-Wahnsinn! 

Verordnen Sie ihren aufwändigen, mehrstufigen, hoch detaillierten Prognoseprozessen eine Schlankheitskur. Lassen Sie dort mehr Intelligenz und Hausverstand zu. Setzen Sie auf ein schrittweises, roulierendes Vorgehen und nutzen Sie die Möglichkeiten der Automatisierung durch Digitalisierung. Statt auf umfangreiche Pläne zu blicken, die aufgrund der raschen Marktveränderung ohnehin nicht lange Gültigkeit haben, richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Ihre Kunden

Gerade wenn Sie sich bereits auf die agile Reise begeben haben, sollten Sie ihre Forecast- und Budgetierungsprozesse genau betrachten. Die Vorteile agiler Ansätze gehen verloren, wenn die Ergebnisse agiler Teamarbeit wie zum Beispiel eine Produktinnovation auf traditionelle Steuerungsprozesse stoßen mit langwierigen Managementfreigaben für relativ kleine Budgetbeträge.  

Beyond Budgeting kann hier sehr gute Anregungen liefern, um der Mikromanagementfalle durch die Finanzbürokratie zu entkommen. Was nicht gemeint ist damit: Ein unbedachter Umgang mit der Ressource Geld. Planung findet auch hier statt, nur eben nicht in der Form eines zentralistisch gesteuerten Plans, der keinerlei Bewegungsspielraum und Eingehen auf Veränderung zulässt. Stattdessen sind es kleinere und kürzere Planungseinheiten, die rasches (Re-)Agieren ermöglichen. 

Frei nach J.D. Eisenhower& zusammengefasst: „Plans are worthless, but planning is everything.”

Tipp #2: Schaffen Sie Klarheit in Ihrer Organisation

Unklare Zuständigkeiten und Entscheidungsprozesse erschweren die Zusammenarbeit in vielerlei Hinsicht und erhöhen die Komplexität für alle Beteiligten. Das zeigt sich vor allem jetzt, wo wir immer weniger am gleichen Ort gemeinsam arbeiten und informelle Ad-hoc-Abstimmungen wegfallen.

Einfach das Organigramm schöner zu zeichnen, reicht dafür nicht aus. Es geht darum, die Verantwortlichkeiten eindeutig und explizit festzulegen, in der Praxis zu leben und nach einiger Zeit mit der Frage zu überprüfen: „Wie gut unterstützen uns unsere Strukturen bei der Erfüllung unserer Ziele?“

Im besten Fall ersetzen Sie die gute alte Stellenbeschreibung durch ein flexibleres und transparentes Rollensystem, das eine laufende Anpassung Ihrer Organisationsstruktur ermöglicht. Übervolle Meetings mit unsicherem Ausgang, an denen jeder teilnimmt, der vielleicht für die Entscheidung wichtig sein könnte, gehören damit der Vergangenheit an. Mühsame, zeitfressende Endlosschleifen in der Entscheidungsfindung – manchmal in Form von E-Mail-Marathons mit zig Teilnehmern in der CC-Klasse – sind damit ebenfalls obsolet.

Überprüfen Sie auch Ihre Standardprozesse in der Kommunikation und im Workflow! Sind diese wirklich standardisiert oder gleichen sie eher einer Blackbox mit Ad-hoc-Charakter? Lean Thinking kann dabei sehr hilfreich sein. Nutzen Sie auch die Möglichkeiten, die uns digitale Kollaborationstools bieten.

Übersteuern Sie die Klarheit jedoch nicht über das notwendige Ausmaß hinweg, denn sonst landen Sie erst recht in der strukturellen und prozessualen Bürokratiehölle! „Mit Augenmaß und Ziel“ ist hier der Anspruch. Yves Morieux hat das in seinem Ted-Talk sehr eindrücklich zusammengefasst.

Tipp #3:  Sorgen Sie für das richtige Maß an Aufgabendiversität

Zugegeben, der dritte interne Komplexitätstreiber hat mich zuerst ein wenig ratlos zurückgelassen.

Bedeutet es doch, dass eine zu große Fülle an unterschiedlichen Aufgaben die subjektiv wahrgenommene Komplexität enorm steigert. Sind es aber nicht genau die flachen Hierarchien und das viel propagierte Empowerment, die sich positiv auf mehr Motivation und Leistung der Mitarbeitenden und Führungskräfte auswirken sollten?

Bei näherem Hinsehen und dem Abgleich mit der Praxiserfahrung aus meiner Beratertätigkeit lässt sich das gut an einem Beispiel erklären: Viele Unternehmen sind in Bezug auf die Personalressourcen durch viele Effizienz- und Kostensenkungsprogramme schon recht ausgedünnt. Das heißt, die jeweilige Aufgabenfülle und -vielfalt der einzelnen Mitarbeiter und auch Führungskräfte ist oft beträchtlich.

Wenn jetzt im Zuge von Agilen Transformationen mehr Selbstorganisation und Teamzusammenarbeit gefordert werden, entstehen zusätzliche Aufgabenfelder mit neuen Kompetenzanforderungen, die isoliert betrachtet motivatorischen Charakter haben können. Doch in Kombination mit einer großen Anzahl an bereits bestehenden Aufgaben entsteht das Gefühl der nicht mehr bewältigbaren Komplexität.

Entscheidend für die interne Komplexitätsreduktion ist somit, das richtige Maß an Aufgabendiversität zu finden. Beginnen Sie am besten mit der Frage: Was kann ungestraft weggelassen werden? Oder anders formuliert: „Was von all dem was wir heute tun, würden wir nicht mehr tun, wenn wir neu anfangen würden?“. Diese berühmte Frage aus Malik’s Systemischer Müllabfuhr ist auch im Organisations- und Jobdesign sehr hilfreich.

Tipp #4 und zu guter Letzt: Fragen Sie nach!

Noch nicht überzeugt, dass viel Komplexität hausgemacht ist? Dann fragen Sie doch intern nach.

Interessanterweise nehmen Führungskräfte und Mitarbeiter die Treiber für Komplexität sehr unterschiedlich wahr, wie unter anderem eine Studie von McKinsey zeigt.

Und am besten fragen Sie auch Ihre Kunden. Denn die interne Komplexität strahlt nach außen. Denken Sie nur an Ihre eigenen wundersamen bis frustrierenden Kundenerlebnisse. Das waren mit ziemlicher Sicherheit folgende Aussagen dabei: „Das kann ich nicht entscheiden.“  „Das kann dauern.“ „Ich weiß nicht, wer das bei uns macht.“ „Ich würde ja, aber die da oben …“

Mein Angebot passend zum Thema:

Organisationsdesign

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