Situationen wie diese lassen bei Führungskräften viele Fragen aufkommen. Was bedeutet das für die Unternehmensführung? Was können wir noch steuern und beeinflussen? Wie treffen wir welche Entscheidungen unter welchen Bedingungen? Die Antwort auf all diese Fragen beginnt erstaunlich einfach und ist dennoch alles andere als trivial: „Das kommt darauf an.“ Was das genau bedeutet, erfahren Sie in diesem Beitrag. 

Hohe Verbreitung des Einsteinwahnsinns

"Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten." Was Albert Einstein angeblich sagte, findet sich leider allzu oft in der Unternehmenspraxis wieder. Führungskräfte verlassen sich auf die üblichen Managementansätze, die in bestimmten Situationen gut funktioniert haben. Diese beruhen fast alle auf der grundlegenden Annahme, dass es einen gewissen Grad an Vorhersehbarkeit und damit Planbarkeit gibt.

Die große Gefahr dabei: Mit dieser Grundeinstellung neigen wir zur Vereinfachung, auch wenn sich die Umstände signifikant verändern. Wir treffen also Entscheidungen unter völlig falschen Annahmen. Dies führt dazu, dass eine beherrschbar geglaubte Situation früher oder später ins Chaotische abgleiten kann.
 

Die Sofortmaßnahme: Ein Perspektivenwechsel mit Rahmen

Dem können Sie mit der grundsätzlichen Akzeptanz entgegentreten, dass es VUKA wirklich gibt! Genau genommen ist es vor allem die Komplexität, die Volatilität, Unsicherheit und Ambivalenz mit sich bringt. Sehr hilfreich dabei ist ein Orientierungsrahmen, der Sie dabei unterstützt, Situationen einzuschätzen und darauf aufbauend das passende Set an Entscheidungs- und Steuerungsansätzen auszuwählen. 

Einer dieser Orientierungsrahmen mit dem etwas sperrigen Namen Cynefin wurde von David Snowden mit seinem Forscher- und Praktikerteam entwickelt. Er basiert auf Erkenntnissen aus der Komplexitätsforschung. Das mehrfach ausgezeichnete Framework fand bisher in unterschiedlichster Form Anwendung, wie zum Beispiel in der Strategieentwicklung, im Horizon Scanning oder in der Terrorismusabwehr. Dennoch ist es erstaunlicherweise in der Führungspraxis noch nicht sehr weit verbreitet. 

Wie alle Modelle stellt auch dieser Rahmen eine gewisse Vereinfachung der Wirklichkeit dar. Für die Anwendung in Ihrer Führungspraxis bedeutet das: Nutzen Sie den Orientierungsrahmen wie ein Navigationssystem und halten Sie den Blick auf das reale Geschehen! 

Fünf Domänen für Ihre Herausforderungen 

Der Orientierungsrahmen ordnet Probleme in fünf Domänen abhängig vom Ursache-Wirkungs-Zusammenhang. Dadurch können Führungskräfte Situationen besser einschätzen und passend agieren. 

 

Domäne 1: Heimat für Offensichtliches

Der Zusammenhang von Ursache und Wirkung ist für alle klar erkennbar und sehr stabil. Die Herangehensweise folgt der Logik Erkennen – Kategorisieren – Reagieren. Bewährte Praktiken können angewendet werden (Best Practice). Klare Prozessbeschreibungen und Checklisten sind Mittel der Wahl. Ein Rechnungslegungsprozess lässt sich hier zum Beispiel einordnen. 

Die mit der Offensichtlichkeit einhergehende Einfachheit birgt manchmal die Tendenz, dass Führungskräfte sich neuen Denk- und Handlungsweisen in dieser Domäne verschließen. Es hilft, sich immer wieder die Frage zu stellen: “Was würden wir nicht mehr machen, wenn wir neu beginnen würden?“ So lassen sich Prozesse oft noch viel effizienter und vor allem effektiver gestalten. 
 

Domäne 2: Es ist kompliziert

Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung sind vorhanden und weitgehend stabil, jedoch nicht auf den ersten Blick erkennbar. Es braucht eine Analyse, eine andere Form der Prüfung und/oder Fachwissen, um den Zusammenhang von Ursache und Wirkung herauszufinden. Die Vorgehensweise ist in diesem Fall: Erkennen – Analysieren – Reagieren.  

Da es meist mehrere Wege zur Lösung gibt, spricht man von Good Practice. Beispielhaft seien hier eine Bilanzerstellung oder die Reparatur von Maschinen genannt. In beiden Fällen braucht es Expertenwissen und ein analytisches Vorgehen. 

Auch in dieser Domäne lauert so manche Tücke. Eine Analyse Paralyse liegt vor, wenn in einem gar nicht notwendigen Ausmaß eine Situation vorab geplant wird. Unendliche Expertendiskussionen führen dann oft zu überkomplizierten Lösungen. 

Viele Jahre war die Beherrschung dieser beiden Domänen und damit der operativen Exzellenz der Schlüssel für den Unternehmenserfolg. Die größte Gefahr besteht darin, sich darauf auszuruhen. Die Annahme, dass sich die vergangenen Erfolge in Zukunft unverändert fortschreiben lassen, könnte sich als trügerisch herausstellen, insbesondere dann, wenn sich das Umfeld hin zu höherer Komplexität ändert.

Domäne 3: Es darf komplex sein

Ursache und Wirkung lassen sich in einer komplexen Situation nicht im Vorhinein bestimmen. Dieser Zusammenhang wird erst im Nachhinein klar. Hier gilt der Ansatz Probieren – Erkennen – Reagieren. Das erfordert Hypothesenbildung, (gut gemachte) Experimente und iteratives Vorgehen. Man spricht von Emergent Practice. Agile Methoden sind hier angesiedelt. Sie erlauben ein schrittweises Herantasten an Lösungen und rasche Reaktionen auf schnelle Veränderungen. Die Neuentwicklung von Produkten und Services seien hier beispielhaft genannt.

Führungskräfte, die an Business Schools gelernt haben, dass jede Managementsituation plan- und damit vorhersehbar ist, tun sich oft schwer, den emergenten Ansätzen zu vertrauen, ja Komplexität überhaupt (anzu-)erkennen. Der Reflex ist groß, in den Command-and-Control-Modus zurückzufallen und wasserfeste Pläne mit fixem Ergebnis einzufordern. Komplexität auf diese Weise zu managen funktioniert jedoch nicht und kann unter Umständen dann sogar ins Chaotische abgleiten.

Stattdessen braucht es Führung, die den Rahmen für emergente Praktiken ermöglicht und Mustererkennung zulässt. Kreative Lösungen bis hin zu neuen Geschäftsmodellen entwickeln sich unter diesen Bedingungen besonders gut.
 

Domäne 4: Chaotische Situationen – es wird turbulent

Ist keinerlei Beziehung mehr zwischen Ursache und Wirkung auf Systemebene feststellbar, spricht man von einer chaotischen Situation. Die Suche nach Mustern und richtigen Lösungen sind hier obsolet. Der Ansatz bei so hoher Instabilität lautet Handeln – Erkennen – Reagieren. Wir sprechen hier von Novel Practice. Beispiele für chaotische Situationen sind Krisen wie zum Beispiel eine Liquiditätskrise, aber auch hoch innovative Prozesse, wo Instabilität bewusst generiert wird.

Die erste (Führungs-)Handlung im chaotischen Kontext zielt auf die Schaffung von Ordnung ab. Dann richtet sich der Fokus auf das Erkennen, wo es (Teil-)Stabilität gibt und wo nicht. Darauf aufbauend erfolgt der Versuch, die Situation von chaotisch zu komplex zu transformieren. Dort lassen sich anhand von Mustern im Nachhinein erkennen, wo die möglichen Ursachen für die Krise lagen und wie neue Möglichkeiten daraus generiert werden können.  

Paradoxerweise schätzen Manager manchmal Situationen als chaotisch ein, die durchaus noch als komplex gelten. Krisenmanagement ohne Krise kann dann erst recht zu Disruptionen führen. Auch das geschieht vorwiegend, wenn Führungskräfte im Umgang mit komplexen Situationen nicht geübt sind. 
 

Die fünfte Domäne: Vom Nicht-Wissen zur Offenheit

Gerade in der Realität ist die Art der Kausalität nicht immer gleich bekannt. Dann ist es wichtig, nicht reflexartig auf den persönlich präferierten Lösungsansatz zurückzugreifen. Stattdessen braucht es Offenheit und ein tiefes Verständnis für Kontexte. Diese Führungskompetenz wird immer wichtiger in einer sich rasch verändernden Welt.
 

Stellen Sie sich in regelmäßigen Abständen selbst in diese fünfte Domain und beobachten Sie Ihr Umfeld. Was verändert sich? Passen die gewählten Lösungs- und Steuerungsansätze noch? So bleiben Sie auch in volatilen Zeiten wie diesen handlungsfähig und Ihr Unternehmen erfolgreich. 

In diesem Sinne: 

Keep calm and carry on leading!