Die Pyramide und ihre Variationen
Dennoch wird in Unternehmen oft noch so gehandelt, als existiere all das nicht. Denn wie sonst lässt es sich erklären, dass sich Führung nach wie vor an rigide Hierarchien in Pyramidenform klammert, Informationen über zeitaufwendige Reports nach oben getragen werden und Anordnungen langsam über die einzelnen Führungsebenen nach unten sickern?
Gut gemeinte Versuche einer flexibleren Steuerungsform, wie etwa die Matrixorganisation, blieben meist hinter den Erwartungen zurück. Statt Handlungsfähigkeit bei schnell wechselnden (Kunden-)Anforderungen zu erreichen, wurden Strukturen und Prozesse dadurch oft noch komplizierter und langwieriger gestaltet. Auch der viel gepriesene Bottom-up-Ansatz alleine als Ergänzung zum Top-down der Pyramide brachte nicht immer die gewünschten Effekte. Denn auch hier wird meist rein linear vorgegangen.
Mehr Agilität und Selbstorganisation tun gut
Je komplexer unser Umfeld und damit die Probleme und Aufgaben werden, desto stärker braucht es Vernetzung. Neue Hoffnung bieten agile Arbeitsweisen und Selbstorganisationsansätze, die sich gerade großer Beliebtheit erfreuen. Freud und Leid dazu habe ich bereits in meinem Artikel über Organisation und Disziplin in der Business-Agilität beschrieben. Agilität und Selbstorganisation funktionieren auf Teamebene schon gut, wenn alles richtig aufgesetzt und eingebettet ist. Meist bleibt es im teamübergreifenden Arbeiten Sache der jeweiligen Führungskräfte, gegenseitige Abhängigkeiten zu managen und die passenden Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Dazu braucht es ein erweitertes Führungsverständnismit stärkerem Bewusstsein für vernetztes Arbeiten.
Die Organisationsgrenzen öffnen sich
Damit nicht genug. In den meisten Unternehmen werden die Organisationsgrenzen immer offener. Ganze Wertschöpfungsketten werden ausgelagert, Expertise oft extern zugekauft und statt festangestellten Mitarbeitenden auf (temporäre) Dienstleister gesetzt. Führung umfasst somit nicht mehr ausschließlich die Berichtslinie laut Organigramm, sondern ein gesamtes Netz an Leistungserbringern.
Und immer öfter ist auch der Kunde mit dabei. Userzentrierte Ansätze erfordern viel Weitblick auch von Führungskräften, die nicht im Vertrieb sind. Stakeholder, Interessensvertreter, Influencer … die Liste ist lang. Wer, wie, mit wem und warum? So könnte man netzwerkorientierte Führung kurz zusammenfassen.
Somit ist es höchste Zeit, dass Führungskräfte die Bedeutung von Netzwerken erkennen und diese für sich nutzen. Hat es bisher genügt, die Karriereleiter Schritt für Schritt nach hierarchischen Prinzipien und nach Fachkompetenz zu erklimmen, braucht es immer stärker die Fähigkeit, professionell und strategisch mit anderen Menschen und Gruppen in Kontakt zu kommen.
Diese 7 Dinge sollten Sie über Netzwerke und Network Leadership wissen
Was sind nun Netzwerke genau und wie funktioniert netzwerkbasiertes Leadership in der Praxis? Hier habe ich hilfreiche Informationen und die wirksamsten Tipps für Sie zusammengefasst.
1. Netzwerk definiert
Ein Netzwerk ist eine Gruppe von Einzelpersonen oder Organisationen, die durch sinnvolle Beziehungen verbunden sind. Das kann online, offline oder in Kombination von beidem erfolgen.
Netzwerke sind interessant, wenn sie:
- viele Teilnehmende haben,
- die Möglichkeit der Selbstorganisation bieten,
- durch neue Technologien befeuert werden und
- ein gemeinschaftliches Mindset und Verhalten aufweisen.
2. ‚Working Wikily‘ steht für Netzwerkorientierung
Das von Social Media Plattformen wie Twitter und Wikipedia ausgehende netzwerkorientierte Mindset und die vernetzte Zusammenarbeit werden mittlerweile als ‚Working Wikily‘ bezeichnet. Der Begriff stammt aus dem Non-Profit-Bereich. Dort werden schon seit mehreren Jahren mit Offenheit, Transparenz, dezentralen Entscheidungen und verteiltem Handeln soziale Innovationen vorangetrieben.
3. Kontextbewusstsein als Basis
Neben der organisationalen (hierarchischen) Führung gab es immer schon netzwerkorientierte Führung. Doch diese war bestenfalls eine Randerscheinung. In einer komplexeren Welt verlagert sich nun der Fokus immer stärker auf die Netzwerke und damit auf eine andere Art des Führens.
Dafür braucht es zuallererst Kontextbewusstein. Was passiert im Umfeld? Gibt es klare Ursachen-Wirkung-Zusammenhänge oder ist alles in Bewegung? In letzterem Fall greift eben der netzwerkorientierte Ansatz, weil er nicht auf die lineare Bearbeitung reduziert, sondern rasch unterschiedliche Sichtweisen, Ressourcen und Kompetenzen zusammenführen kann.
Network Leadership beginnt also mit der Erkenntnis, dass in einem komplexen Umfeld andere Lösungsansätze gefragt sind.
4. Der Unterschied zwischen traditioneller und netzwerkorientierter Führung
Wo liegen nun genau die Unterschiede zwischen den einzelnen Führungsansätzen?
Das Monitor Institute von Deloitte beschreibt die jeweiligen Eigenschaften folgendermaßen:
Traditionelle Führung in Organisationen:
- Position und Autorität
- Individueller Ansatz
- Kontrolle
- Transaktional linear
- Handlungsorientiert
Netzwerkorientierte Führung:
- Rolle und Verhalten
- Kollektiver Ansatz
- Moderation und Begleitung
- Relational verbunden
- Prozessorientiert
In der folgenden Tabelle habe ich für Sie die Unterscheidungen noch detaillierter dargestellt. Wichtig dabei: In der Praxis ist der Übergang eher fließend und oft sind in einem Unternehmen patchworkartig auch beide Ansätze in verschiedenen Ausprägungen zu finden.
Traditionelle Führung | Netzwerkorientierte Führung |
Nutzt die organisationale Hierarchie, um Kontrolle auszuüben und Ergebnisse zu forcieren | Nutzt das Netzwerk und die persönliche Vision, um zu führen und andere zu beeinflussen |
Verbindet sich vorwiegend mit Führungskolleg:innen und Personen in Machtpositionen, um fest vorgegebene Ergebnisse zu erzielen | Bezieht alle Ebenen im Unternehmen mit ein und vernetzt über die Organisationsgrenzen hinweg, um dynamisch zu lernen, Möglichkeiten zu erkennen und zu nutzen |
Baut professionelle Beziehungen rein zweckgerichtet auf | Pflegt dauerhaft Netzwerkbeziehungen |
Schafft Vertrauen primär über Titel und Positionen in der Organisationshierarchie | Inspiriert Vertrauen durch Transparenz, dem Wert von Ideen, Kommunikation und proaktivem Engagement |
Kontrolliert den Informationsfluss, um Macht zu erhalten | Setzt auf echte Konversation und geteiltes Wissen, um gemeinsame Ergebnisse zu erzeugen |
Verändert die Organisation, um sie an den Führungs- und Arbeitsstil anzupassen | Passt sich dem Netzwerkstil und den lokalen digitalen Communities an |
Kommuniziert zur Organisation ohne Erwartung von Fragen oder Beteiligung | Nutzt das Netzwerk, um Informationen zu verbreiten, um dann gemeinsam Verbesserungen daraus abzuleiten |
Versucht zu kontrollieren, wie Arbeit gemacht wird | Lässt das Netzwerk die Arbeit machen |
Greift auf bestehendes Wissen und Insiderinformationen zurück | Lernt vom gesamten Netzwerk und teilt mit dem ganzen Netzwerk |
5. Führungsaufgaben im Netzwerk
Interessant ist auch ein Blick auf die unterschiedlichen Führungsaufgaben im Rahmen der Netzwerkorientierung. Diese sind nicht notwendigerweise auf eine Führungsperson beschränkt, sondern können durchaus geteilt werden. Einige sprechen mittlerweile mehr von Keyplayern als von Führungskräften. Dadurch soll vom „herkömmlichen“ Führungsbegriff und den damit verbundenen Zuschreibungen bewusst differenziert werden.
Führungsaufgaben im Netzwerk können sein:
- Unterschiedliche Personen und Gruppen zusammenbringen
- Die Netzwerkteilnehmer:innen miteinbeziehen
- Gemeinsames Arbeiten und Handeln inspirieren
- Verbindungen vermitteln und Unterschiede überbrücken
- Vertrauensbasis schaffen
- Selbstorganisation fördern
- Wirklich teilnehmen
- Unterstützende Technologien zunutze machen
- Netzwerkraum kreieren und schützen
6. Keine Angst vor Netzwerken!
Sind Netzwerke nun undurchschaubare Dschungel, die sich – wenn einmal losgelassen – unkontrolliert entwickeln? Können Führungskräfte dann nicht mehr eingreifen, wie Goethes Zauberlehrling im gleichnamigen Gedicht? Durchaus nicht, denn mit einer offenen Einstellung, dem Wissen um die Zusammenhänge und Dynamiken in Netzwerkstrukturen sowie den passenden Werkzeugen lässt sich netzwerkorientierte Führung erfolgreich in die Praxis umsetzen!
Interessanterweise gibt es seit einigen Jahren mit ONA, das für Organization Network Analysis steht, einen strukturierten Ansatz, Netzwerke besser zu erkennen und mit diesen Informationen auch gezielt bei der Gestaltung von Netzwerken zu arbeiten. Ein Trend, der sich in Zukunft wohl noch verstärken wird.
7. Nutzbringende Netzwerke beginnen mit den richtigen Fragen
Netzwerke sollen allen Beteiligten einen Nutzen bieten. Gutes Network Leadership beginnt daher mit guten Leit- und Reflexionsfragen:
- Wie sehen meine bestehenden Netzwerke aus? Wie hängen diese zusammen? Eine visuelle Darstellung kann hier durchaus hilfreich sein.
- Welchen Sinn und Zweck haben die einzelnen Netzwerke?
- Welche Rolle(n) habe ich dort inne, mit welchem erwünschten Outcome?
- Wo bin ich sehr förderlich im Netzwerk?
- Wo behindere ich eher und warum? Feedback aus dem Netzwerk einholen ist hier sehr aufschlussreich.
- Welche Personen und Gruppen, die wichtig sein können, habe ich noch gar nicht einbezogen?
- Wer kann als Multiplikator im Netzwerk hilfreich sein?
- Welche meiner Stärken und Kompetenzen unterstützen mich im netzwerkorientierten Führen?
- Welche meiner Einstellungen und bisherigen Praktiken sind eher hinderlich dabei?
- Welche drei konkreten Schritte leite ich daraus für meine Network Leadership Praxis ab?
In dem Sinne wünsche ich Ihnen viel Erfolg beim Umsetzen von Network Leadership!
Vernetzte Freude ist doch die schönste Freude :-)
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