Covid-19 und die damit verbundene Notwendigkeit, ortsunabhängig zu arbeiten, verstärkt dabei nur einen längst bestehenden Trend hin zur virtuellen Organisation. Die Erfahrungen, die wir derzeit machen, sind der beste Nährboden dafür. Einen Ausblick darauf, was das für die die Führung bedeutet, habe ich in meinem Blogbeitrag über die Steuerung von Verantwortungsbereichen gegeben. 

Ich lade Sie nun ein, mit mir eine Reise in die virtuelle Organisation zu unternehmen. Entdecken Sie, was sich hinter diesem Schlagwort versteckt, das so vielschichtig und auch unterschiedlich verwendet wird. Praxistipps liefern Ihnen gleich Anregungen für Ihre eigene virtuelle Fahrt.

Zeitreise zurück in die Vergangenheit: Die virtuelle Organisation als Zukunftshoffnung

In den neunziger Jahren entstand die Vision der virtuellen Organisation. Wissenschaftler und auch Praktiker identifizierten sie als Unternehmenstyp der Zukunft. Inspiriert von Bill Davidovs und Michael S. Malones Buch „The Virtual Corporation" träumten viele von dynamischen, selbstorganisierenden Netzwerken, die die Kompetenzen verschiedener Geschäftspartner bündeln und dem Kunden gegenüber wie ein einheitliches Unternehmen auftreten. Große Hoffnung wurde dabei in die Informationstechnologie gesetzt, als Enabler für diese Entwicklung. Doch mit dem Platzen der Dotcom-Blase Anfang der 2000er-Jahre war hier vorerst einmal Schluss.

Die virtuelle Plattform als Geschäftsmodell

Die Blase auf den Finanzmärkten platzte, nicht aber die fortschreitende Digitalisierung. Überlebende Unternehmen aus dieser Zeit treiben noch heute ganze Branchen vor sich her. Die bekanntesten sind hier Google, Amazon und E-Bay. Diesen Organisationen gemein ist der virtuelle Plattform-Ansatz, ein Ökosystem, das den Austausch zwischen unterschiedlichen Nutzergruppen ermöglicht und erleichtert. Die niedrigen Transaktionskosten sind dabei der Schlüssel zum Erfolg.

Es gilt: „What a company owns matters less than what it can connect.” Die Plattform als eine Form der virtuellen Organisation ist also längst Wirklichkeit. Die jüngeren Plattformunternehmen wie Uber oder AirbnB tragen weiter zur Dynamisierung von traditionellen Geschäftsmodellen bei bis hin zur Disruption. Diese Entwicklung dürfte wohl weiter anhalten.

B2B springt auf die Plattform auf

Der Trend zur Plattform hat auch den B2B-Bereich erfasst. Das deutsche Handelsblatt nennt es „Ein Amazon für Geschäftskunden“. XOM wird hier als Beispiel genannt. Die Vision von XOM: die zentrale Drehscheibe eines digitalen Ökosystems für die Werkstoffindustrie zu werden. Dahinter steht Klöckner Stahl, ein alteingesessener deutscher Stahlgroßhändler. In einem Interview für unser Buch „Weil Führung sich ändern muss“ hat uns Gisbert Rühl, CEO von Klöckner, genau diese Vision persönlich geschildert: eine Plattform für alle Player in der Werkstoffindustrie, Konkurrenten miteingeschlossen. Nun ist sie Wirklichkeit geworden.

Nicht ohne meine Vision

Apropos Vision. Neben hohen technologischen Standards und Userfreundlichkeit bis hin zur extremen Ausrichtung auf den Kundennutzen haben erfolgreiche virtuelle Plattform-Unternehmen eines gemeinsam: eine starke Vision, meist in Form eines attraktiven Zukunftsbilds. Denn die beste virtuelle Plattform nützt nichts, wenn nicht klar ist, was damit erreicht werden will.

Mein Praxistipp dazu: Achten Sie für eine ausgeprägte Plattform auf diese drei Kriterien:

  1. Magnet: mindestens zwei unterschiedliche Nutzergruppen, in der Regel Lieferanten und Kunden, kommen an Bord.
  2. Toolbox: Eine Plattform stellt die Tools zur Verfügung, damit die verschiedenen Nutzergruppen interagieren können.
  3. Matchmaker: Durch den Datenabgleich kommen die passenden Nutzer zusammen.

Sollten Sie (noch) nicht zu jenen gehören, die erfolgreich eine Plattform als Geschäftsmodell umgesetzt haben, können Sie dennoch die Plattformlogik für Ihr Unternehmen nutzen.

Nicht immer müssen alle Kriterien gleichzeitig erfüllt sein. Nutzerreviews zum Beispiel können als Magnet für Kunden fungieren. Produktempfehlungen aufgrund vorangegangener Käufe wirken wie ein Matchmaker. Nutzerforen haben sowohl Toolbox- als auch Magnetwirkung. Mehr Informationen und Beispiele gibt es im Beitrag Dissecting Amazon’s Platform Play.

Auch unternehmensintern können Sie eine virtuelle Plattform initiieren. Veränderungen lassen sich so zum Beispiel viel effektiver vorantreiben. Darüber habe in meinem Blogbeitrag „Die Change Plattform“ geschrieben.

Dabei bitte nicht vergessen: Zuerst die Vision Ihrer Plattform entwickeln und dann umsetzen!

Zurück in die Zukunft: Die virtuelle Organisation lebt!

Seit der Dotcom-Blase sind nun schon 20 Jahre vergangen. Die IT-Technologien haben sich enorm weiterentwickelt. So lag zum Beispiel die Erfindung des Smartphones dazwischen und alles, was an Apps und Co dazugehört. Das mobile Internet hat signifikant an Bandbreite und Geschwindigkeit zugelegt. Mit 5G kommt hier nochmals eine Steigerung auf uns zu.

Was ist also aus dem Konzept der virtuellen Organisation der 90er inzwischen geworden? Die kurze Antwort: Es gibt sie wirklich! Vor allem in Form der konsequenten Virtualisierung der Wertschöpfungskette ist sie in der Praxis zu finden.

Virtuelle Organisation am Beispiel Puma

Als ein Prototyp der virtuellen Organisation gilt der deutsche Sportartikelhersteller Puma. Das Unternehmen konzentriert sich nur mehr auf seine Kernkompetenzen – Entwicklung, Design und Marketing. Andere Funktionen wie Produktion, Logistik und Vertrieb sind in 80 virtuell miteinander verbundenen Partnerfirmen ausgelagert, und das weltweit.

Modernste Kommunikationsmittel ermöglichen es dem Unternehmen, unabhängig von einem Standort aus zu agieren. Was normalerweise in einem Acht-Stunden-Tag am Firmensitz geleistet wird, läuft rund um die Uhr rund um den Globus ab. Hier wird also nicht nur ortsunabhängig, sondern auch zeitunabhängig Leistung erbracht.

Für Puma war es keine Frage ob, sondern wie das Unternehmen umgestellt wird. Denn am Anfang stand ein marodes Unternehmen, das den Trend der Zeit nicht rechtzeitig erkannte. Die radikale Veränderung hin zur virtuellen Organisation war eine Überlebenssache. Und genau das sollte jedes Unternehmen im Auge haben: Sind wir so, wie wir arbeiten und Wertschöpfung erbringen, noch gut aufgestellt? Oft ändern sich die Rahmenbedingungen schneller als erwartet. 2020 zeigt uns das ja mehr als eindringlich vor.

Die Reise vom Homeoffice in die virtuelle Organisation

Wenn Mitarbeitende nun von zu Hause oder an unterschiedlichen Unternehmensstandorten arbeiten, dann ist das eine virtuelle Vernetzung von standortverteilten Organisationseinheiten, die als die geringste Ausprägung einer virtuellen Organisation bezeichnet werden kann.

In der Vollausprägung ist die virtuelle Organisation ein zeitgebundenes Netzwerk von untereinander unabhängig funktionierenden Einheiten. Sie werden je nach Auftrags- und Projektlage gebildet, ausgeweitet, wieder reduziert oder aufgelöst.

Die Kernfrage lautet dann: An welchem Ort wird die jeweils erforderliche Arbeit geleistet, um sie möglichst effektiv zu machen? Bei hoher Dynamik mit raschen Veränderungen kann das der erfolgskritische Faktor sein.

In der folgenden Grafik habe ich die Entwicklung zur virtuellen Organisation als Kontinuum dargestellt.

Bereit für eine neue Kultur?

Die smarte Nutzung der modernen Informationstechnologie allein reicht aber dafür noch nicht. Eine virtuelle Organisation braucht auch die passende Kultur. Viele Unternehmen sehen die aktuelle virtuelle Zusammenarbeit in den Homeoffices als Abweichung vom Normalzustand. Die Rückkehr zur Normalität des standortgebundenen Arbeitens wird angestrebt. Homeoffice-Lösungen waren ja bisher eher ein Zugeständnis an die Mitarbeitenden und weniger eine betriebliche Notwendigkeit. Anwesenheitskultur und Kontrolle sind noch häufig zu finden. Auch deshalb, weil eben alte Führungsansätze nach wie vor vorherrschend sind.

Aus meiner Sicht ist das aber zu kurz gedacht. Denn wenn wir jetzt schon die Kulturtechnik der virtuellen Zusammenarbeit erlernen, dann können wir diese auch nutzen, um noch flexibler in einem dynamischen Umfeld zu agieren. Warten Sie daher nicht, sondern begeben Sie sich gleich auf die Reise.

Meine Praxistipps für Ihre Reise zur virtuellen Organisation

1.

Befragen Sie Ihre Mitarbeitenden, was Sie an der virtuellen Zusammenarbeit schätzen und was dabei aus ihrer Sicht weniger gut funktioniert. Leiten Sie daraus ganz konkrete Maßnahmen ab.

 

2.

Beziehen Sie auch Ihre Kunden und Lieferanten mit ein. Welche Erfahrungen machen diese in der veränderten Arbeitssituation? Was können Sie gemeinsam für Ihre virtuelle Zusammenarbeit daraus ableiten?

 

3.

Identifizieren Sie die Gründe, warum sich auch Ihr Unternehmen in Richtung virtuelle Organisation bewegen soll. Ein Blick über den Tellerrand auf die Entwicklungen im Markt, das Kundenverhalten und auch in andere Branchen kann dabei sehr hilfreich sein.

 

4.

Kreieren Sie eine Vision: Wie würde Ihr Unternehmen als virtuelle Organisation aussehen? Auch wenn das im Moment noch Wunschdenken ist, so haben Sie ein Zukunftsbild entworfen, dem Sie Schritt für Schritt näherkommen können.

 

5.

Nutzen Sie für Ihre Reise den schon vorhin erwähnten Plattform-Ansatz. 
Denn gemeinsam lässt sich viel mehr erreichen. 

 

Gutes Gelingen! 

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