Einmal agil – aber schnell bitte!

„Wir müssen unser Unternehmen so schnell wie möglich agil machen.“ Diese oder ähnliche Aussagen höre ich oft bei meinen Erstgesprächen mit potenziellen Kundinnen und Kunden. Meine Antwort lautet dann: „Dafür brauchen Sie Zeit.“ Dieser scheinbare Widerspruch führt meist zu Erstaunen oder gar Irritation bei meinen Gesprächspartnern.

Was widersprüchlich klingt, macht durchaus Sinn: Die Bereitschaft und die Zeit, sich intensiv mit den Voraussetzungen und dem Status der Organisation auseinanderzusetzen, ist das Fundament, auf dem agile Transformationen gebaut sind. Wie entwickelt sich unser Umfeld? Wo wollen wir hin mit unserem Unternehmen? Welches Zukunftsbild haben wir? Wer sind unsere wichtigsten Stakeholder? Wo sind unsere größten Painpoints? Auf welchen Stärken können wir aufbauen? Welche unserer Einstellungen und Annahmen sind hilfreich? Welche behindern uns eher? Warum glauben wir, dass agile Ansätze für uns überhaupt nützlich sein können?

Zeitinvestment erhöht die Erfolgswahrscheinlichkeit

Diese und ähnliche Fragen gilt es zu bearbeiten, bevor die Entscheidung gefällt wird, welche Managementansätze wann, von wem und wie verändert werden sollen. Das erfordert Zeit und auch Mut, neue Sichtweisen einzunehmen, neue Erfahrungen zuzulassen.

Es braucht auch den Weitblick, aktuelle und zukünftige Anforderungen zu erkennen. Das ist keine Aufgabe für ‚so nebenbei‘ oder eine, die man einfach mal schnell nach unten delegiert. Die gute Nachricht: Durch Ihr Zeitinvestment gewinnen Sie wertvolle Erkenntnisse für die weiteren Schritte.

Heilung von der Managerkrankheit

Sollten Sie jetzt einwenden: Ich würde gerne, aber ich habe ja wirklich keine Zeit. Dann ist es Zeit, Ihren Umgang mit der Zeit genauer zu betrachten. Unter Umständen leiden Sie sogar an der Managerkrankheit. Diese ist kein neues Phänomen, sondern wurde bereits Mitte des letzten Jahrunderts von John Steinbeck beschrieben: Eine Epidemie, die durch den Uhrzeiger hervorgerufen und durch den Terminkalender übertragen wird.

Die einzige Heilung besteht darin, den Terminkalender auszumisten. Und schon sind Sie mittendrin in Ihrer eigenen agilen Transformation. Worauf setzen Sie Ihren Fokus? Wie priorisieren Sie Ihre Aufgaben? Welche Ihrer Tätigkeiten schaffen echten Mehrwert? Was können Sie ungestraft weglassen? Was können Sie anders organisieren? Nehmen Sie sich Zeit für diese Fragen und gewinnen Sie damit Freiraum! Noch einen Schritt weiter gehen Sie, wenn Sie mit der Professionalisierung Ihrer Meetinglandschaft einen großen Zeitfresser in Zaum halten.

Jetzt geht’s erst richtig los

Bestenfalls haben Sie sich also Zeit genommen, die agile Transformation zu initiieren. Das Fundament ist gebaut. Die „Marschrichtung“ mit der Transformationsvision klar. Jetzt geht es doch nur mehr darum, das Ganze umzusetzen, neue Rollen zu definieren, selbstorganiserte Teams zum Laufen zu bringen, Prozesse zu verändern, Schnittstellen und Abhängigkeiten zu klären, neue Methoden einzuführen, Kompetenzen aufzubauen, ein paar OKRs drüberzustreuen, Führungskräfte in Agile Leaders zu verwandeln und nebenbei noch schnell das Mindset aller Beteiligten zu ändern. Und das alles bitte bei laufendem Betrieb. Was ich hier so sarkastisch beschreibe, ist leider allzu oft Realität.

Der Weg in die Überlastung

„Transform while perform“ lautet der beschönigende Slogan dafür. In der Praxis kommen mir dann Organisationen unter, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regelrecht ausgelaugt sind. Sie führen den Spagat aus, im laufenden Geschäft wie bisher weiterzuarbeiten und die Veränderung hin zu mehr Agilität als Draufgabe zu bewerkstelligen.

Da müssen zum Beispiel nach wie vor Unmengen an zeitintensiven Reports ausgefüllt und die langsamen Entscheidungswege über zahlreiche Gremien eingehalten werden ... Gleichzeitig gibt es die Vorgabe, selbstorganisiertes Arbeiten in Teams zu fördern. Der Workshop dazu wird gleich mitgelierfert.

Zynismus und Zeitfallen

Der Zynismus von manchen Teilnehmenden in diesen Workshops ist verständlich, wenn Sie die dort erlernten Prinzipien der Selbstorganisation mit ihrer Praxis vergleichen. Dann kommt noch dazu, dass sogar bei größter Lernbereitschaft einfach der Chef anruft und Teilnehmerinnen und Teilnehmer sofort aus der Veranstaltung abziehen lässt. Dringendes aus dem Tagesgeschäft hat Vorrang! Keine Zeit für Neues.

Die Liste an Zeiträubern, Zeitfallen und Gleichzeitigkeiten lässt sich fast beliebig lang fortsetzen. Beamen und Klonen im unternehmerischen Kontext sind noch nicht erfunden. Also können wir auch in der agilen Transformation die Dimensionen Zeit und Raum nicht außer Acht lassen.

Veränderung braucht Zeit

Veränderung braucht Zeit. Zeit zu überlegen, was nicht mehr gebraucht wird. Zeit, Neues zu entdecken. Zeit, zu kommunzieren. Zeit, um Neues zu erlernen und einzuüben. Zeit für Austausch, Feedback und Reflexion. Paradoxerweise führen agile Initiativen deshalb oft zuerst zu einer Verlangsamung in vielen Bereichen. Das ist ein ganz kritischer Zeitpunkt. Wenn hier im Management Ungeduld herrscht, dann wird entweder eingefordert, diese Zeit für Veränderung zusätzlich und bitte außerhalb vom Tagesgeschäft zu investieren. Das führt zu der oben beschriebenen Überlastung oder auch zur Weigerung von Mitarbeitenden, dieses Zusatzinvestment für die Veränderung zu tätigen.

Die Schlussfolgerung im Management ist dann: Agile Veränderungsinitiativen sind nutzlos oder gar kontraproduktiv. In weiterer Konsequenz werden diese dann gänzlich gestoppt. Die agile Transformation ist an der Zeit gescheitert.

Ein Leitfaden mit 7 agilen Werten

Wie lässt sich nun die Zeitfalle in der agilen Transformation vermeiden? Ganz einfach: Keine Gleichzeitigkeiten, Dopplungen und zeitliche Untiefen mehr! Gestalten Sie die agile Transformation selbst agil. Und nehmen Sie sich bitte nicht zu viel auf einnmal vor. ‚Weniger und anders‘ ist ein guter Leitgedanke dabei. Am besten orientieren Sie sich an den agilen Werten. Der folgende Leitfaden unterstützt Sie dabei:

 

1. Commitment

  • Wir sehen Agilität als wichtige Voraussetzung für unseren zukünftigen Unternehmenserfolg.
  • Wir sind deshalb wirklich bereit, zu transformieren.
  • Wir erkennen, dass die Veränderung hin zu mehr Agilität Zeit und Ressourcen braucht und sind bereit, in diese zu investieren.


2. Offenheit

  • Wir schaffen die Voraussetzung, dass im Unternehmen frei und offen Ansichten und Meinungen ausgetauscht werden.
  • Dadurch erhalten wir ein breites Bild und erkennen rechtzeitig, wo es Handlungsbedarf gibt.
  • Wir schaffen Transparenz auf allen Ebenen und verkürzen dadurch zeitaufwändige Kommunikationswege.


3. Mut

  • Wir haben Mut, neue Erfahrungen zu machen.
  • Wir treffen Entscheidungen in angemessener Zeit.
  • Wir vermeiden zeitintensive Absicherungstaktiken, die uns Scheinsicherheit liefern.


4. Fokus

  • Wir setzen klare Prioritäten in der agilen Transformation.
  • Wir konzentrieren uns auf die Aktivitäten, die den größten Wert für Kundinnen und Kunden generieren.
  • Wir sind bereit, dafür anderes wegzulassen.


5. Einfachheit

  • Wir vermeiden komplizierte Projektstrukturen.
  • Wir suchen nach einfachen und schlanken Lösungen mit dem größten Nutzen.
  • Wir streben nach minimalem Aufwand und maximalem Outcome.


6. Vertrauen

  • Wir beschäftigen uns mit den Zusammenhängen von Vertrauen im Unternehmenskontext.
  • Wir erkennen, dass Vertrauen klare Auswirkungen auf Schnelligkeit und Kosten hat.
  • Wir schaffen die Voraussetzungen für ein vertrauensvolles Transformationsklima im Unternehmen.


7. Respekt

  • Wir erkennen an, dass Veränderungsgeschwindigkeiten individuell unterschiedlich sein können.
  • Wir schaffen Zeit, Raum und Möglichkeit zum Lernen und Ausprobieren.
  • Wir respektieren, dass agile Transformation ein laufender Prozess ist ohne klares zeitliches Ende.

Von der Zeitfalle ins agile Glück

Wenn Sie also ernsthaft den Weg in Richtung Agilität beschreiten wollen oder gar müssen: Achten Sie auf die Zeit! Und hören Sie dabei nochmals auf John Steinbeck: „Man verliert die meiste Zeit damit, dass man Zeit gewinnen will.“ Lassen Sie die Zeitfallen hinter sich und steuern Sie lieber die agile Happy Hour an, in der Sie die ersten Erfolge Ihrer agilen Transformation feiern.