Friendly Fire Nr. 1:

Veraltete Ausrüstung

Personalverantwortliche sehen sich stark in der Rolle des Treibers der agilen Transformation im Unternehmen und bereiten sich dafür auch gewissenhaft vor. Sie besuchen Konferenzen, lesen Bücher, konsumieren Ted-Talks und lassen sich zertifizieren. Alles zu Agilität steht im Moment ganz hoch im Kurs. Die Absichten sind die besten.

Mit dem neuen Know-how gewappnet geht’s dann zurück in die Unternehmen. Doch es wird oft weitergemacht wie bisher. Denn trotz aller kognitiven Wissensanhäufung wird das eigene Arbeiten kaum hinterfragt. Wie agil ist unser Ansatz? Wo schaffen wir wirklich Kundenwert? Wieviel Experiment und Iteration lassen unsere Methoden zu? Wie wird das eigene Arbeiten reflektiert, daraus gelernt und verbessert?

Das eigene Arbeitsmodell auf dem Prüfstand

Ein Kanban Board in der Personalabteilung ist ein guter Anfang, jedoch bei weitem nicht ausreichend, die HR-Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Genau genommen steht das eigene Arbeitsmodell auf dem Prüfstand.

Recruiting, Performance-Management, Karrierepfade, Qualifizierung – viele dieser HR- Instrumente sind veraltet. Sie setzen auf Annahmen, die schon lange nicht mehr zutreffen. Stabilität, volle Planbarkeit, Bewegung nur in Jahreszyklen, monetäre Incentivierung von Einzelleistung – all das ist mittlerweile überholt und verhindert weitestgehend ein rasches Reagieren auf veränderte Umwelten. Dennoch wird daran festgehalten.

Und nun zum Friendly Fire: Die Parole „Alles nach Vorne in die neue Zeiten“, jedoch ausgestattet mit altem, nicht mehr funktionierendem Equipment, ist eine Anleitung zum Scheitern. Pointierter ausgedrückt, würde ich sogar von grob fahrlässigem Handeln sprechen.

Die Dinge mutig angehen

Kollegen aus der HR mögen nun einwenden, dass das Hinterfragen dieser oft „heiligen“ HR-Instrumente die gesamte strategische Ausrichtung beeinflusst und damit auch rechtliche Aspekte verbunden sind. Somit liegt die Entscheidung außerhalb ihres Verantwortungsbereiches bei der Geschäftsleitung.

Meine Antwort: Ja, genau! Und deshalb ist es Aufgabe von HR, auf dieser Ebene Bewusstsein zu schaffen, zu überzeugen. Zugegeben, oft alles andere als einfach. Doch genau diesen professionellen Mut braucht es.


Friendly Fire Nr. 2:

Potemkinsches Lernen

In den Personalabteilungen wird gut verstanden, dass es neue Kompetenzen und vor allem eine veränderte Einstellung von Menschen braucht für mehr Agilität im Unternehmen. Sehr oft ist jedoch die Antwort darauf eine unpassende.

Da werden schulisch anmutende Standardtrainings entwickelt, in denen Wissen und einige Methoden weitergegeben werden. Mindestens ein Ted-Talk-Video ist dabei Fixstarter. So, als würden wir durch Zuhören und Zusehen unser Verhalten ändern oder gar unsere Meinungen. Um möglichst viel neues Wissen zu generieren, sind die Programme inhaltlich überladen. Zeit für tiefgreifende Reflexion bleibt kaum.


Raum für echte Entwicklung

Dabei braucht es heute mehr denn je Raum für echte Entwicklung. Menschen in Organisationen wollen verstehen, warum sie sich ändern sollen. Bisher eingefahrene Denkmuster lassen sich nur durch Irritation und Reflexion hinterfragen. Also müssen sich auch die Lernformate ändern und vor allem die Kriterien, die für den Lernerfolg herangezogen werden.

Die Anzahl der Trainingstage und die Teilnehmerzufriedenheit zählen nach wie vor zu den häufigsten Kennzahlen in der Personalentwicklung. Dabei ist es wissenschaftlich bewiesen, dass weder das eine noch das andere als Messkriterium für den Lernerfolg geeignet ist.

Gerade die Teilnehmerzufriedenheit als Indikator verhindert Lernen und vor allem Entwicklung im Sinne einer Einstellungsänderung. Wenn wie oben beschrieben Irritation wichtig ist für ein Öffnen zu Neuem hin, dann steht das meist im Gegensatz zur kurzfristigen Zufriedenheit.

Ich gehe noch weiter: Tiefgreifende Entwicklung passiert nicht im Zweitagestraining. Dies ist im besten Fall ein guter Startpunkt dafür, wenn es gelingt, die Teilnehmer aufzurütteln. Das wird aber kein (externer) Trainer riskieren, wenn er/sie an der Teilnehmerzufriedenheit gemessen wird.

Das Friendly Fire hier ist das Schaffen einer Scheinsicherheit nach dem Motto: „Wir tun ja schon viel, um agil zu werden.“ Dabei werden eher potemkinsche Lerndörfer gebaut. Außenanstrich agil, innen hohl. Und das oft zu beträchtlichen Kosten.


Vom Training zu exponentiellem Lernen

Was es braucht: Eine Ausrichtung von HR-Development als Plattform für Entwicklung von Personen und vor allem auch Teams auf ganzheitlicher Ebene. Diese unterscheidet sich signifikant von den jetzt gängigen Trainingsabteilungen mit fragmentiertem Angebot. HR wird mehr und mehr zum Lernermöglicher, der die Mitarbeiter unterstützt, Verantwortung für die eigene Entwicklung zu übernehmen. Ein weiteres zentrales Ziel dieser Plattform ist die Verstärkung und Vernetzung von Wissen und Erfahrung im Unternehmen. Das fördert exponentielles Lernen, ein kritischer Erfolgsfaktor bei hoher Dynamik.


Friendly Fire Nr. 3:

Unzureichende Zielidentifizierung

Ursachen für Eigenbeschuss im militärischen Bereich sind oft eine unzureichende Identifizierung des Ziels aufgrund schlechter Sichtbedingungen wie Dunkelheit und Witterungseinflüsse.

Auf Unternehmen übertragen trüben eine höhere (Markt-)Dynamik und mehr Komplexität die Zielsicht. Anstatt sich nun dem Ziel schrittweise zu näheren, wird von der Ferne einfach auf gut Glück losgeschossen und dabei oft Kollateralschaden versursacht.
 

Abzielen auf Kundenwert

Was heißt das für HR-Verantwortliche? Zuerst einmal die Frage zu stellen, ob das Ziel überhaupt geortet wurde. Sinn und Zweck von HR ist es, die Geschäftsbereiche bestmöglich beim Schaffen von Kundenwert und damit die Wertschöpfung zu unterstützen.

Friendly Fire Nr. 3 lässt sich daraus erkennen: Wenn diese Unterstützung nur von Weitem bei schlechter Sicht „abgeschossen“ wird oder das Ziel selbst gar nicht identifiziert wurde, kann dieser Support zur Belastung und schlimmstenfalls zur Bedrohung werden. Statt Wert wird Ballast geschaffen, der ein rasches Agieren im Geschäftsbereich verhindert.

Distanzen reduzieren

So gesehen müssen HR und operatives Geschäft viel näher zusammenrücken. Heute bekommt man oft den Eindruck, dass hier Welten dazwischenliegen. Ein gegenseitiges Unverständnis bis hin zur Abwertung sind brandgefährlich in Zeiten, in denen der gesamte Unternehmensfokus auf Kunden, Märkte und neue Geschäftsmöglichkeiten ausgerichtet sein soll.

Natürlich gibt es auch hier Versuche einer Annäherung. Aus meiner Sicht greifen diese oft zu kurz. Ein gemeinsamer Workshop ist zu wenig. Sinnvoller wäre eine radikalere Neuausrichtung, wie z.B. systematisches Arbeiten in interdisziplinären Teams und damit Aufbrechen der Silogrenzen zwischen HR und Business.

Iterieren

Auch die Vorgehensweise für die Entwicklung von HR-Lösungen muss sich ändern, gerade bei getrübter Sicht auf die Ziele: eine kurze Einschätzung der nahen Distanz, einige Schritte in diese Richtung, überprüfen, ob die Annahmen zutreffen, gegebenenfalls Kurskorrektur und wieder einige Schritte in die Zielrichtung. Das ist nichts anderes als iteratives Vorgehen, gerne auch als agil bezeichnet. Dafür braucht es ein Umdenken, weg von sperrigen HR-Instrumenten hin zu rasch adaptierbaren Lösungen.


Ausblick:

Vom Friendly Fire zum gemeinsamen Erfolg

Im militärischen Bereich nährten neue Technologien wie Fernunterstützung die Hoffnung, das Eigenbeschussrisiko zu minimieren. Die Erfahrung im Praxiseinsatz bewies jedoch das Gegenteil. Auch mit der besten Technologie lassen sich diese Kollateralschäden nicht ausschließen.
 

Verhalten vor Technologie

Das führte zu ganz klaren Verhaltensregeln, die sich als wesentlich effektiver bei der Verhinderung von Friendly Fire herausstellten. Zentral ist dabei die enge Koordination zwischen den Alliierten für ein gutes gegenseitiges Verständnis und die laufende Abstimmung ihrer Position.

Neue Technologien im HR-Bereich können sicherlich hilfreich sein. Diese lösen aber nicht allein die bestehenden Herausforderungen. Erst wenn es HR und den Geschäftsbereichen gelingt, im Sinne von Allianzen gegenseitiges Verständnis zu schaffen und ihre Positionen gemeinsam zu bestimmen, gehört der Eigenbeschuss der Vergangenheit an. Gemeinsame Erfolge prägen dann die Zukunft.

Verantwortung auf beiden Seiten

Falls Sie sich als Manager im Business jetzt beruhigt zurücklehnen und meinen, nur HR muss sich ändern, noch ein Hinweis: Friendly Fire gibt es auch von der anderen, also Ihrer Seite. Prüfen Sie daher genau, wo Sie sich bewegen können, ja sogar müssen. Aufeinander zugehen führt schneller zum oben beschriebenen Schulterschluss und bündelt Ihre Kräfte im Unternehmen.

 


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Eva Ayberk